Einleitung

Bevor ich auf die verschiedenen Aspekte von Vaginismus eingehe, möchte ich erstmal kurz erklären, was Vaginismus ist und wie er sich zeigt. Als Vaginismus (oder auch Scheidenkrampf genannt) bezeichnet man eine unwillkürliche, meist schmerzhafte Verkrampfung oder Verspannung der Beckenbodenmuskulatur im unteren Bereich der Vagina, teilweise auch der Oberschenkelmuskeln sowie der Dammmuskulatur. Dadurch erscheint der Scheideneingang eng oder wie verschlossen. Es ist ein nicht unterdrückbarer Reflex, der durch den Versuch einen Finger, ein Tampon oder den Penis einzuführen, ausgelöst wird. Betroffene Frauen sagen: “es fühlt sich an, als sei die Scheide zu eng“ oder „als ob das Jungfernhäutchen zu dick sei”.

 

Wenn Sie eine der folgenden Fragen mit „Ja“ beantworten, leiden Sie möglicherweise unter Vaginismus:

  • Können Sie keinen Tampon verwenden, weil Ihnen unwohl wird bzw. haben Sie das Gefühl, dass dieser nicht hineinpasst?

  • Haben Sie Schmerzen bei der gynäkologischen Untersuchung, bzw. ist diese nicht möglich, weil Sie zu große Angst davor haben?

  • Ist ein Eindringen des Penis nicht oder nur sehr schwer, unter Schmerzen möglich?

  • Haben Sie Angst vor einer Schwangerschaft und verkrampfen sich?

 

Schätzungsweise drei bis sieben Prozent der Frauen leiden unter Vaginismus. Da das Thema sehr schambesetzt ist, gibt es eine hohe Dunkelziffer.

 

Die gute Nachricht ist: Vaginismus ist sehr gut behandelbar, die Erfolgsquote ist hoch, so dass Sie sich auf eine erfüllende Sexualität freuen können. Eine vollständige Heilung kann erreicht werden, unabhängig davon, wie lange die Beschwerden schon bestehen.

 

Und auch wenn der Weg bis dahin vielleicht etwas holprig sein kann, er lohnt sich. Sie brauchen eine Mischung aus Motivation und Durchhaltevermögen, um gut durch die Frustphasen, die es ganz sicher geben wird, hindurchzukommen. Aber es werden auch immer wieder kleine Fortschritte gelingen, die Hoffnung machen.

 

Die Beschäftigung mit Vaginismus ist eine echte Herausforderung, der es sich zu stellen gilt, es klappt nicht „einfach so“. Denn der Körper hat sich etwas „Saublödes“ angewöhnt, nämlich zu krampfen, sich eng zu machen oder mit Brennen o. ä. Symptomen zu reagieren, wenn der Penis eindringen möchte oder während der Zeit, wenn er sich in der Vagina bewegt. Es braucht Zeit, viel Geduld und viel Mut, um dem Körper, dem eigenen Herzen und dem eigenen Kopf klarzumachen, dass es möglich sein wird, ohne diese Beschwerden Sex haben zu können, dass der Körper es sich also wieder abgewöhnt.

 

Je mehr Energie und Zeit Sie dieser Herausforderung widmen, desto eher wird Ihr Körper bereit sein, etwas Neues zu lernen. Die Voraussetzung ist, dass Sie konsequent üben.

In diesem Prozess können seelischer Schmerz, Trauer und Wut auftauchen. Viele Frauen haben bisher mit niemandem über ihre Beschwerden gesprochen Manche Frauen empfinden zu viel Scham, sich Unterstützung zu holen. Ohnmachtsgefühle sind vielen ständige Begleiter: „das klappt ja eh nie“ sind typische Gedanken. Frust und Scham darüber, als Frau nicht „normal“ zu funktionieren, haben sich aufgebaut. Oft besteht die Sorge, dass der Partner sie verlassen wird und nicht bereit ist noch länger auf „normalen“ Sex zu verzichten. Oder es besteht keine Partnerschaft, weil Sie wissen, dass Sie das sogenannte „Normale“ nicht geben können. Mit all dem werden Sie sich auf Ihrem Weg zu einer erfüllenden Sexualität auseinandersetzen. Sich diesem Prozess zu stellen, wird Sie insgesamt als Person reifen lassen.

 

Jede Frau ist anders, jede Frau unterscheidet sich in ihrer Geschichte und jede braucht ihr eigenes Tempo. Meiner Erfahrung nach wird leider häufig versprochen, dass eine Verbesserung ganz schnell gehen kann und wenn dem nicht so ist, erhöht es den Frust und die Ratlosigkeit. Natürlich macht es einen Unterschied, ob die diversen Übungen, sei es das Beckenbodentraining oder die Dehnung mit den Dilatoren etc. regelmäßig durchgeführt werden. Es dauert aber auch bis die Seele sich daran gewöhnt, also bis die Ängste und der Widerstand weniger werden. Lassen Sie sich die Zeit, die Sie brauchen. Wenn Sie zwischendurch frustriert aufgegeben haben, können Sie trotzdem jederzeit wieder einsteigen und sich wieder neu motivieren. Es lohnt sich auf jeden Fall und Sie können es schaffen.

 

Die Übungen sind sorgfältig zusammengestellt. Wichtig ist dabei, je nachdem wo Sie sich mit Ihrem persönlichen Thema befinden, dass Sie sich fordern, aber nicht überfordern. Das ist oft ein schmaler Grat. Erlauben Sie sich langsam zu sein und den Übungsschritt, bei welchem Sie sich gerade befinden, so häufig zu wiederholen, bis Sie sich ganz sicher und entspannt damit fühlen. Gehen Sie erst dann weiter zum nächsten Schritt, zu weiteren Übungen. Wenn Sie sich überfordern und denken xy müsste gehen, entsteht Frust. Sollte Sie eine Übung zum jetzigen Zeitpunkt nicht ansprechen, wählen Sie einfach eine andere, es hat genug Auswahl.

 

Manchmal entstehen Pausen, sei es Motivationslöcher, Urlaub, viel in der Arbeit oder dass das Leben einen anderweitig fordert. Das ist ja normal, wichtig ist es, dort wieder einzusteigen, wo es ein angenehmes bzw. relativ stressfreies Gefühl gab.

 

Die Übungen unterscheiden sich in folgende Kategorien:

  • Wahrnehmungsübungen

  • Dehn-, Entspannung- und Kräftigungsübungen des Beckenbodens

  • Dehnübungen des Beckens, der Rück- und Innenseiten der Oberschenkel,

  • Energie- und Atemübungen

  • Konkrete Übungen mit der Vagina Kontakt aufzunehmen und dann sich dem Eindringen langsam anzunähern

  • Selbstmassagen

  • Emotionale Aufarbeitung

 

Wenn ein Kinderwunsch besteht, ist einerseits der Druck noch stärker, andererseits kann es die Motivation erhöhen sich drum zu kümmern, weil das Ziel so klar und bedeutsam ist. Schauen Sie auch hier, dass Sie sich nicht zu sehr unter Druck setzen.

 

Sex hat etwas vom Schwimmen lernen. Es gilt sich dem Körper neu anzuvertrauen. Er weiß, wie es geht, ohne dass Sie untergehen. Wie es ist, im Meer zu schwimmen, zu plantschen, sich zu vergnügen. Er kann sich hingeben.

 

Vaginismus ist eine Reaktion des Körpers, daher ist es mir wichtig über den Körper zu arbeiten. Sei es, um Körperspannungen abzubauen oder um neuen Zugang zu den Gefühlen zu bekommen. Eine Sexualtherapie, die lediglich auf Sprechen ausgerichtet ist, kann meiner Meinung nach nicht die notwendige Tiefe erreichen, die es braucht, um an die eventuellen Gründe, wie unbewusste Glaubenssätze oder der vielleicht verklemmte oder abwertende Umgang mit Sexualität in der Familie zu kommen, die möglicherweise auch zu dem Problem geführt haben. Wie und was wir über Sexualität in unserer Kindheit und Jugend erfahren haben, ist wichtig, um den Ursachen des primären Vaginismus auf die Spur zu kommen.

 

Meine Generation ist ohne Internet aufgewachsen. Viele von uns haben sich die spannenden Informationen auf völlig anderen Wegen besorgt, als es heute der Fall ist. Für uns gab es damals Dr. Sommer aus der „Bravo“. Er und sein Team waren für ganze Generationen wichtig. Erinnern Sie sich, woher Sie Ihre Informationen über Sex bekommen haben?

 

Über das Internet sind unendliche Informationen über Sexualität allen zugänglich. Das ist einerseits gut und kann hilfreich sein, anderseits überfordert es leider auch häufig. Insbesondere Jugendliche oder junge Erwachsene, schauen schon sehr früh Pornos, oft bevor sie selbst sexuelle Erfahrungen gemacht haben. Die Männer haben in den Filmen immer große, steife Penisse, die Frauen können und wollen immer, alles geht ganz schnell. Das macht zusätzlichen Druck und hat mit normalem Alltagssex meistens relativ wenig zu tun. D. h. es entsteht ein falsches, überforderndes und verzerrtes Bild über Sexualität.

 

Die Aufklärung in der Schule im Biologieunterricht widmet sich meist nur den anatonmischen Fragen, also wo die Eierstöcke liegen und die Gebärmutter etc. Aber selbst relevante anatomische Kenntnisse, z.B. zum Aufbau des Beckenbodens und seiner Funktionsweise oder dem genauen Aufbau der Klitoris werden selten vermittelt. Dieses Wissen ist aber hilfreich, um den eigenen Körper zu verstehen.

 

Der Einstieg in Sexualität in der Pubertät ist nicht immer respektvoll mit den eigenen Grenzen. Viele Frauen „machen mit“, weil sie denken, dass die Jungs es so wollen. Sie übergehen sich dabei selbst, auch um sagen zu können, dass sie ihr „1. Mal“ nun erlebt haben. Dieses 1. Mal kann sehr prägend sein, aber es ist nie zu spät auch gute, korrigierende Erfahrungen zu machen.

 

Selbst FrauenärztInnen scheinen häufig relativ unwissend zu sein, wenn es um Vaginismus geht. Es ist immer wieder unglaublich zu hören, wie unsensibel sie reagieren, wenn Frauen sich an sie wenden (mehr dazu in den Erfolgsgeschichten der Frauen). Manche Frauen haben so starke Ängste, dass ihnen sogar schwindelig wird bei der Vorstellung sich beim Frauenarzt untersuchen zu lassen. Sie brauchen viel Empathie und Verständnis von ÄrztInnen. Erst wenn sie sich sicher fühlen, können sie den nächsten Schritt Richtung Untersuchung zulassen. Die Hürde ist groß. Leider nehmen sich manche FrauenärztInnen nicht die Zeit, den Frauen die hilfesuchend in ihre Praxen kommen, in Ruhe zu beraten.

 

Mir scheint, dass sie selbst manchmal ratlos sind, was sie den leidenden Frauen raten sollen. Kommentare wie „entspannen Sie halt mal mehr oder trinken sie vorher ein Glas Rotwein“ sind nicht hilfreich und kränkend. Glücklicherweise gibt es immer mehr FrauenärztInnen, die gut und behutsam mit den Frauen umgehen und auch mehr TherapeutInnen, die sich zum Thema Sexualität fortgebildet haben, so dass mehr Frauen geholfen werden kann. Vor ca. 18 Jahren konnte ich noch keine Fortbildung dazu finden!

 

Bei den SexualtherapeutInnen gibt es sehr unterschiedliche Herangehensweisen. Teilweise wird viel gesprochen, teilweise werden Körperübungen gemacht. Wenn Sie sich Unterstützung suchen, scheuen Sie nicht 2-3 TherapeutInnen zu einem Erstgespräch zu treffen. Es ist sehr wichtig, dass Ihnen nicht nur die Methode interessant vorkommt, sondern dass Sie sich mit der Person auch wohlfühlen. Seien Sie wählerisch, wählen Sie sorgfältig und spüren Sie genau hin zu welcher TherapeutIn es sie hinzieht. Kommt nur eine Frau in Frage oder können Sie sich auch vorstellen, mit einem Mann zu arbeiten? Es braucht Vertrauen, um sich entfalten zu können und mit den schambehafteten Themen sich nach und nach zu öffnen.

 

Mein Buch richtet sich vorwiegend an Frauen, die sich insgesamt eigentlich gesund fühlen und auch sind. „Nur“, dass der Körper selbstständig diese Verkrampfungen und Schmerzen macht.

Viele Frauen sind erleichtert, wenn sie nach intensiver Suche und langer Leidenszeit, endlich die Fachbezeichnung Vaginismus gefunden haben und somit auch erfahren, dass es viele Frauen gibt, die davon betroffen sind. Für manche ist die Diagnose aber auch ein Stressfaktor, da sie dann denken „huch ich bin ja echt krank“. Auf Youtube gibt es das Interview einer jungen Frau, Tabea, die sehr mutig und offen über sich und ihre Beschwerden spricht. Es wurde in den ersten vier Monaten in 2021 über 800.000 mal geklickt. Das zeigt, wie groß das Interesse ist. Youtube Videos unter den Stichworten Beckenboden der Frauen, Anatomie Klitoris und Beckenbodenübungen sind informativ – manche sind gut gemacht – manche weniger. Sie bringen mit Sicherheit neue Erkenntnisse. Trauen Sie sich.
 

Neben dem Vaginismus gibt es die Vulvodynie und Dyspareunie, die oft im Zusammenhang mit Vaginismus auftreten. Dyspareunie (ein schwierig zu merkendes Wort) ist der Fachbegriff für alle Beschwerden und Schmerzen, die im Zusammenhang mit dem Eindringen in die Scheide empfunden werden. Die Missempfindungen können sich auf verschiedene Arten äußern z.B. brennen, stechen oder jucken. Die Schmerzen treten entweder vor dem Geschlechtsverkehr auf, währenddessen oder danach. Vulvodynie (Vulva + Schmerz) beschreibt chronische Schmerzen an den Schamlippen (Vulva), der Klitoris, Harnröhre oder am Damm. Die Schmerzen können z.B. als Wundsein, Brennen, Juckreiz oder Stechen empfunden werden. Meistens ist äußerlich nichts sichtbar. Manche Frauen haben Schmerzen an nur einer bestimmten Stelle, häufiger am ganzen Scheideneingang. Bei manchen Frauen tritt der Schmerz nur bei Berührung auf, bei anderen ständig. Enge Jeans oder ähnliches wird dann als sehr unangenehm empfunden, Fahrradfahren teilweise unmöglich. Der Beckenboden ist häufig stark verspannt, sowie auch andere Muskeln im ganzen Körper. Dysparneurie und Vulvodynie lassen sich oft nicht klar trennen.

 

Aufklärvideo: Thema "Jungfernhäutchen" bzw. Hymen:
Jungfernhäutchen: 8 Mythen im Check! | Auf Klo | ARD Mediathek

 

Podcast zum Vaginialsteaming mit Ann-Marlene Henning und Hanna Krohn
Zu Gast beim Podcast "Ach, komm!" - Hanna Krohn

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